Kreisparteitag am 15. Mai 2020
Redemanuskript des stellvertretenden Vorsitzenden der Ratsgruppe
Anrede,
der vielleicht größte Erfolg des vergangenen Jahrzehnts ist die begonnene Sanierung des städtischen Haushalts. Nach fast einem Vierteljahrhundert war die Stadt Remscheid wieder in der Lage, ein Haushaltsjahr ohne Neuverschuldung zu bewältigen. Das ist ein Erfolg des Landesprogramms „Stärkungspakt Stadtfinanzen“, aber natürlich insbesondere unserer Anstrengungen vor Ort. Zeitweilige Steuererhöhungen, Personalabbau, viele weitere Einsparungen: Wenn wir uns stattdessen nur nach dem schnellen Beifall gestreckt hätten, dann wären wir gescheitert. Wir haben mit unseren Partnern im Rat und mit Beate Wilding und jetzt Burkhard Mast-Weisz an der Spitze der Verwaltung stattdessen den langen Atem gehabt und finanzielle Freiräume und damit wieder Spielräume für Investitionen erarbeiten können. Der Neubau des Berufskollegs Wirtschaft und Verwaltung mit einem Volumen von rund 30 Millionen Euro wäre noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen.
Fest steht aber auch: Ohne Hilfe von Bund und Land sind langfristige Erfolge in der Sanierung des Haushalts nicht möglich. Selbst wenn wir es wieder schaffen, ohne Neuverschuldung auszukommen, so bleibt der Schuldenberg in Höhe von rund 550 Millionen Euro mit den damit verbundenen Zinsrisiken. Selbst wenn ein Altschuldenfonds von Bund und Land diese Lasten zumindest mildern könnte, so bleiben die steigenden Ausgaben im Sozialbereich und bringen den Haushalt wieder in Schieflage. Ohne Lösung für die Altschulden und ohne ein stärkeres Engagement des Bundes bei den Soziallasten hat der Remscheider Haushalt keine langfristige Perspektive. Dies galt vor der Corona-Krise, und dies gilt jetzt immer noch.
Ansonsten hat die Corona-Krise vieles anders gemacht, als es noch vor zwei Monaten gewesen ist. Die Krise belastet alle gesellschaftlichen Bereiche und jeden einzelnen Menschen. Einschränkungen, mit denen wir leben mussten und mit denen wir teilweise noch weiter werden leben müssen, sind richtig, aber trotzdem auf lange Dauer unerträglich. Auf die städtischen Finanzen wirkt die Corona-Krise wie ein Brandbeschleuniger. Die Stadt muss kurzfristig neue Ausgaben für die Gefahrenabwehr in Millionenhöhe schultern, die Steuereinnahmen werden einbrechen, die Sozialtransfers werden sich erhöhen. Die Corona-Krise führt uns vor Augen, was wir wussten, nämlich dass die Erfolge der vergangenen Jahre zerbrechlich und wir längst nicht über den Berg sind. Zinserhöhungen, die gesamtwirtschaftliche Lage oder die Ausgaben im Sozialbereich bildeten ohnehin die Drohkulisse für den städtischen Haushalt in den nächsten Jahren.
So wie wir in vielen Bereichen langsam zur Normalität zurückkehren, muss allerdings unsere Haushaltspolitik wieder nachhaltig werden. Remscheid muss sich jetzt die Chance erhalten, in die Zukunft dieser Stadt zu investieren. Wir Freie Demokraten sehen uns in der Verantwortung, die solide Haushaltspolitik der vergangenen Jahre fortzuführen – jetzt ist dies umso wichtiger, damit unsere Finanzen nicht gänzlich aus den Fugen geraten und wir in alte Muster zurückfallen.
Anrede,
für die Erholung der städtischen Finanzen spielt die wirtschaftliche Erholung eine entscheidende Rolle. Wir Freie Demokraten wollen in Remscheid die optimalen Rahmenbedingungen für die Entwicklung unseres Wirtschafts- und Arbeitsstandortes. Die Stadt Remscheid hat allerdings derzeit keine neuen Gewerbeflächen zu bieten; wir sind blank. Brachen werden in Remscheid bereits erfolgreich reaktiviert, zuletzt waren es zwanzig Hektar jährlich. Trotzdem reichen diese Flächen nicht aus, weil Brachen nicht immer die Flächengröße, die Verkehrsanbindung und den Raumzuschnitt bieten, die ein Unternehmen benötigt. Remscheid braucht weitere Gewerbeflächen. Wir reden dabei nicht von hochfliegenden Plänen mit Neuansiedlungen und Unternehmen, die wir aus dem ganzen Land nach Remscheid holen wollen, sondern es geht um unsere Remscheider Unternehmen mit den Arbeitsplätzen vor Ort, die hier in Remscheid bleiben wollen und hier deswegen Flächen suchen. Diesen Unternehmen müssen wir eine Perspektive bieten, bevor sie gezwungen sind, in andere Städte abzuwandern.
Wir haben deshalb im Rat den Weg frei gemacht für die Bauleitplanung für das Gleisdreieck Bergisch Born, weil es sich um Flächen handelt, die wir hoffentlich in den nächsten Jahren erschließen können. Ein neues Gewerbegebiet hat nicht immer nur Freunde, aber als Politik müssen wir unser Augenmerk auf die Gesamtstadt richten. Wir Freie Demokraten werden den Bürgerinnen und Bürgern keinen Sand in die Augen streuen und versuchen, andere Flächen als besser geeignet zu verkaufen. Wer etwa ein Gewerbegebiet an der „Blume“ favorisiert, der muss wissen, dass sich keine nennenswerten Flächen im Eigentum der Stadt befinden, die Eigentümer nicht verkaufsbereit sind, der Bebauungsplan vom Oberverwaltungsgericht kassiert worden ist und die Entwässerungsfrage nicht geklärt ist. Die Bürger erwarten von uns zurecht Lösungen für Probleme, und zwar Lösungen, die funktionieren. Ein Gewerbegebiet an der „Blume“ ist deswegen momentan keine Option für uns.
Zu einer attraktiven Stadt gehören nicht nur Arbeitsplätze, sondern viele andere Dinge: Bildungschancen, Kulturleben, Sportangebote, Freizeitmöglichkeiten, Verkehrsinfrastruktur. Ich glaube, wir sind in diesen Bereichen nicht schlecht aufgestellt, auch wenn wir weiter daran arbeiten wollen, besser zu werden. Das größte Defizit liegt woanders: Was nutzt uns eine gute Infrastruktur, wenn die Menschen in Remscheid keine Wohnung finden? Ob sozialer Wohnungsbau, höherwertige Mietwohnungen oder Hauseigentum: Remscheid fehlt attraktiver Wohnraum, und diese Situation wird sich in den nächsten Jahren nicht verbessern, wenn wir nicht gegen diese Entwicklung steuern. Ja, es wird Wohnbebauung weiter verdichtet. Ja, es werden leerstehende Wohnungen modernisiert und wieder vermietet. Ja, es werden sogar ganze Häuserzeilen abgerissen und durch einen modernen Bau ersetzt. Das alles reicht aber nicht aus, um dem Bedarf gerecht zu werden. Wir Freie Demokraten wollen die Flächen, die sogar planerisch bereits für eine Wohnbebauung vorgesehen sind, entwickeln. Dazu gehören zuallererst die Flächen an der Knusthöhe. Wir Freie Demokraten wollen noch in diesem Jahr den Einstieg in konkrete Planungen an diesem Standort, damit wir die Potenziale für mehr Wohnraum nutzen können.
Anrede,
wer die Kommunalpolitik im vergangenen Jahr verfolgt hat, der weiß, es gibt noch einige Themen mehr, zu denen ich etwas sagen könnte. Da wir heute ein volles Programm haben und diese Veranstaltung nicht länger als notwendig dauern sollte, möchte ich es jedoch dabei belassen.
Anrede,
dies ist nach Stand der Dinge der letzte Rechenschaftsbericht der Ratsgruppe in der jetzigen Wahlperiode des Rates. Wie Sie wissen, kandidiert Wolf Lüttinger nicht erneut für den Rat. Wolf Lüttinger gehörte bis jetzt ein Vierteljahrhundert dem Rat an und war 20 Jahre lang der Vorsitzende der FDP im Stadtrat. Auch wenn Wolf Lüttinger heute aufgrund der Corona-Umstände wie viele andere Parteifreundinnen und Parteifreunde nachvollziehbarerweise nicht an dem Parteitag teilnimmt und die Wahlperiode erst in einem halben Jahr endet, so ist mit diesem letzten Rechenschaftsbericht die Gelegenheit, Wolf Lüttinger für sein langjähriges Engagement zu danken.
Wolf Lüttinger hat unsere gemeinsamen Ziele mit Zielstrebigkeit und Hartnäckigkeit verfolgt. Dabei kam ihm immer zu Gute, dass er das Verbindende zwischen Menschen gesucht und es geschafft hat, Partnerinnen und Partner zu finden, mit denen wir gemeinsam wirken können. „Wählen was wirkt“ war unser Slogan zur Kommunalwahl 2009, und er passte zu Wolf Lüttinger als damaligem Spitzenkandidaten. Nicht nur wir als FDP profitieren von seinen beruflichen Fachkenntnissen und Erfahrungen, die er in die politische Arbeit einbringt. Jeder von uns kann nur ausschnitthaft erkennen, welche Arbeit mit dem Vorsitz einer Ratsfraktion oder einer Ratsgruppe verbunden ist. Wolf Lüttinger ist zudem berufstätig und trägt Verantwortung für ein ganzes Unternehmen. Diese jahrelangen Energieleistungen, die auch immer Verzicht im privaten Bereich mit sich bringen, sind nicht hoch genug einzuschätzen. Wir werden sicherlich noch Gelegenheit haben, Wolf Lüttinger persönlich für seine Arbeit zu danken, aber mit Ihrem Einverständnis werde ich ihm unseren Dank bereits jetzt ausrichten.
Ich hoffe, es ist der letzte Rechenschaftsbericht einer Ratsgruppe überhaupt, den wir auf unseren Parteitagen hören. Denn wir haben das Ziel, wieder in Fraktionsstärke in den Rat einzuziehen. Die fast sechseinhalbjährige Wahlperiode war nicht nur lang, sondern wir mussten sie mit nur zwei Ratsmitgliedern bewältigen. Ich glaube, dass wir in der Zusammenarbeit mit unseren Partnerinnen und Partner im Rat und mit Oberbürgermeister Burkhard Mast-Weisz dennoch viel für diese Stadt geschafft haben.
Wir Liberale waren nie stolz auf das, was wir sind, sondern auf das, was wir tun. Ich bin stolz auf die Mitglieder dieser Partei und die Kolleginnen und Kollegen der Ratsgruppe, die in dieser schweren Zeit nach der vergangenen Kommunalwahl weitergearbeitet haben. Wir waren nie mutlos und haben versucht, immer das Beste zu geben. Dafür möchte ich Ihnen von Herzen danken. Wir gehen aus dieser Wahlperiode in tiefer Demut, gutem Geist und großer Hoffnung. Wer im tiefsten Tal gewesen ist, der weiß, wie schön es auf dem höchsten Berg ist. Ich freue mich, wenn wir bei der Kommunalwahl im September wieder einen Berg erklimmen können.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!
Presseinformation: Kreisparteitag am 15. Mai 2020 – Rechenschaftsbericht der Ratsgruppe
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