FDP RemscheidFDP Remscheid

Rechenschaftsbericht der Ratsfraktion

Luettinger 2014Kreisparteitag am 5. März 2008

Redemanuskript des Fraktionsvorsitzenden Wolf Lüttinger

Es gilt das gesprochene Wort

Anrede,

im vergangenen Jahr berichtete ich Ihnen, dass sich vier Ratsfraktionen, nämlich CDU, SPD, Grüne und wir als FDP, zu einem „Zukunftspakt“ zusammengeschlossen haben, um gemeinsam notwendige Schritte für die Haushaltskonsolidierung zu unternehmen. Dazu gehörte auch die Beauftragung des Beratungsunternehmens Rödl und Partner für die Erstellung eines Konsolidierungsgutachtens. Intensive Gespräche schlossen sich an und kosteten viel Zeit und Kraft. Entsprechend bestürzt waren wir, als uns der Kämmerer vor drei Wochen eröffnete, die Stadt habe 12,7 Millionen Euro bei Kassenkreditgeschäften verloren. Lassen Sie mich mit diesem Thema beginnen, das uns zwar erst seit einigen Tagen beschäftigt, doch dafür umso intensiver. In den vergangenen drei Wochen ist viel passiert, und es wurde viel diskutiert. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, Ihnen den Verlauf der betreffenden Geschäfte, soweit er der Politik zugänglich gemacht wurde, darzustellen.

Im Mai 2003 beschloss der Hauptausschuss den Abschluss eines sogenannten Schulden-Portfolio-Managementvertrages mit der WestLB. Er umfasste den Einsatz derivater Finanzierungsinstumente, um die Verzinsung des Schuldenbestandes zu senken. Der Managementvertrag bezog sich dabei auf die langfristigen Kredite der Stadt, nicht auf die Kassenkreditgeschäfte. Bereits zu Beginn wurde der Grundsatz „Sicherheit vor höherer Rendite“ festgelegt. Aus diesen Geschäften ergibt sich bis heute ein positiver Saldo.

Im September 2003 teilte die Verwaltung dem Hauptausschuss mit, dass sie einen Kassenkredit im Gegenwert von 50 Millionen Euro in Schweizer Franken unter Einbindung eines Zinsoptimierungsgeschäftes aufgenommen habe. Das Kreditgeschäft hatte eine Laufzeit von sechs Monaten. Mit diesen Mitteilungen brach die Information seitens der Verwaltung allerdings bereits ab. So finden sich beispielsweise selbst in dem 38-seitigen Managementbericht des Dezernates I, der kurz nach Laufzeitende des Geschäftes im März 2004 vorgelegt wurde, keine Hinweise über Erfolg oder Misserfolg des Kreditgeschäftes. Erst recht nicht informiert wurde die Politik über die insgesamt elf Nachfolgegeschäfte sowie zwölf weitere Kassenkreditgeschäfte, die von der Verwaltung in der Folgezeit eingegangen wurden, wie wir heute wissen.

Als Anfang 2007 dramatische, negative Entwicklungen von Kreditgeschäften anderer Städte wie Hagen öffentlich wurden, fragte die Politik im Finanzausschuss gezielt nach dem Stand der städtischen Kreditgeschäfte. Herr Müller sagte damals eine Vorlage zu, in der dargestellt werden sollte, welches Risiko die Stadt bei den Kassenkreditgeschäften eingegangen war. Im August 2007 – also über ein halbes Jahr später – informierte die Verwaltung dann über die derivaten Kassenkreditgeschäfte. Wie sich jetzt im Nachhinnein herausstellt, wurden alleine in dem halben Jahr zwischen Anfrage und Berichterstattung zwei Geschäfte wegen Zahlungsrisiken vorzeitig aufgelöst. Herr Müller berichtete im August 2007, die Stadt Remscheid liege in der Summe mit 1,1 Millionen Euro im Plus. In der gleichen Sitzung wurden die laufenden Geschäfte mit Vertretern der WestLB diskutiert, so dass die Politik erstmals nicht nur über den Umfang der derivaten Kreditgeschäfte, sondern auch über die mit ihnen verbunden Risiken informiert wurde.

Nachdem sich die Politik weiter mit diesem Thema befasst hatte, machte der Finanzausschuss in der Oktober-Sitzung schließlich deutlich, dass er einen geregelten Ausstieg aus den bestehenden Geschäften bevorzugt, um nicht weitere Risiken einzugehen.

Hier reißt der ohnehin spärliche Informationsfluss an die politischen Gremien erneut ab. Wenige Tage später fand die Ablösung von Kreditgeschäften gegen Zahlung von 12,7 Millionen Euro statt. Erst vor drei Wochen erhielt der Finanzausschuss Auskunft über diese Zahlung, wiederum erst auf nach Nachfrage.

Es ist ein Skandal, dass der Rat weder im unmittelbaren Vorfeld dieser Entscheidung eingebunden noch nachträglich über diesen Vorgang in Kenntnis gesetzt, sondern erst vier Monate später aufgrund einer Nachfrage informiert wurde. Das Etatrecht des Rates ist eklatant verletzt worden, als fast 13 Millionen Euro überplanmäßig ausgegeben wurden. Der Rat wäre sicherlich, notfalls im Wege einer Eilentscheidung, in der Lage gewesen, kurzfristig einen Beschluss zu fassen. Er hätte jedoch spätestens unmittelbar nach diesem Vorgang in Kenntnis gesetzt werden müssen. Stattdessen versteckte der Kämmerer diesen Schaden im Haushaltsentwurf für das Jahr 2008.

Die Kassenkreditgeschäfte, die in diesen unfassbaren Verlusten gemündet haben, waren aus heutiger Sicht Wettspiele mit Steuergeldern. Eine Stadtverwaltung durfte solche Geschäfte nur eingehen, wenn sie sich einer spezialisierten Fachberatung bediente und über Kenntnisse hinsichtlich Sicherheiten und Risiken verfügte. Es dürfte nicht ausreichend gewesen sein, sich von der WestLB beraten zu lassen, also der Gesellschaft, die als Wettpartner der Stadt aufgetreten ist. Risikoabwägung und Risikovorsorge konnten in der Stadtverwaltung offensichtlich nicht geleistet werden. Es mag so gewesen sein, dass diese Art der Geschäfte in der damaligen Zeit im Trend lag, und es mag sein, dass die Geschäfte nicht gegen das Kommunalrecht verstießen. Angesichts der fehlenden Fachkompetenz der Verwaltung auf diesem Gebiet hätte die einzige richtige Entscheidung allerdings sein müssen, diese risikoreichen Kassenkreditgeschäfte mit öffentlichen Geldern nicht einzugehen. Die Geschäfte hätten erst recht nicht in einer solchen Größenordnung betrieben werden dürfen: Aus dem 50-Millionen-Euro-Kredit mit einer halbjährigen Laufzeit, über den die Politik im Jahr 2003 noch informiert wurde, sind schließlich Kassenkreditgeschäfte mit einem Volumen von 300 Millionen Euro und mehrjährigen Laufzeiten geworden.

Es wird eine externe Untersuchung des gesamten Vorgangs geben. Auf Grundlage der Untersuchungsergebnisse werden wir weiter diskutieren und sehen, welche Möglichkeiten, eventuell in Richtung von Schadenersatzforderungen, uns noch offenstehen.

Herr Müller hat aus den Vorgängen die Konsequenz gezogen und seinen Rücktritt als Kämmerer angeboten. Das ist ein folgerichtiger Weg, wenn politische Verantwortung nicht nur eine Worthülse sein soll. Es ist aus unserer Sicht allerdings nicht denkbar, auf der einen Seite dem Stadtkämmerer Müller das Vertrauen zu entziehen, jedoch auf der anderen Seite mit einem Stadtdirektor Müller vertrauensvoll weiter zu arbeiten. Die Pressemitteilung von Herrn Müller zeigt deutlich, dass er offensichtlich bis heute nicht versteht oder verstehen will, welche Fehler er begangen hat. Dass er über fast vier Monate seiner Informationspflicht nicht nachgekommen ist, erwähnte er mit keiner Silbe, doch darin liegt die Ursache für den unheilbaren Vertrauensverlust. Wir haben als FDP-Fraktion am Montag Abend beschlossen, einen Abwahlantrag gegen Herrn Müller zu unterstützen.

Anrede,

die städtischen Finanzen haben uns im vergangenen Jahr auch auf andere Weise beschäftigt. Nachdem Rödl und Partner im Sommer 2007 ihren Schlussbericht vorgelegt hatten, einigten sich die vier Fraktionen in den darauf folgenden Wochen auf eine erste Liste mit Maßnahmen, die umgesetzt werden sollen, sowie Maßnahmen, die vorerst nicht weiter verfolgt werden sollen. Insgesamt haben Rödl und Partner rund 130 Konsolidierungsmaßnahmen vorgeschlagen; über knapp 100 dieser Vorschläge ist in dieser ersten Runde bereits entschieden worden. Wenn sich vier so unterschiedliche Partner auf ein solches Paket einigen, dann kann man getrost von einem ersten Erfolg sprechen.

Zu den Vorschlägen, die wir abgelehnt haben, zählen weitere Steuererhöhungen, die Streichung des Zuschusses an die Naturschule Grund und die Schließung des Stadttheaters. Die Vorschläge, die wir umsetzen wollen, summieren sich nach der Rechnung von Rödl und Partner auf eine Haushaltsentlastung in Höhe von rund 8,5 Millionen Euro. Unter den Sparmaßnahmen finden sich schmerzliche Einschnitte, wie die Schließung der Bürgerbüros in Süd und Lennep sowie der Stadtteilbibliothek Lüttringhausen. In den nächsten Wochen werden die vier Fraktionen ihre Gespräche weiterführen, um den ersten Sparbeschlüssen eine „zweite Welle“ folgen zu lassen.

Gerade am Beispiel der Stadtbibliothek zeigt sich, dass wir angesichts des jährlichen Defizits von 40 Millionen Euro auch unpopuläre Beschlüsse fassen müssen, aber dennoch die Zukunft unserer Stadt nicht aus den Augen verlieren und keine Politik des Kahlschlages praktizieren. So hatten Rödl & Partner vorgeschlagen, die Stadtbibliothek zu schließen. Wir haben uns dagegen entschieden, weil wir dieses wichtige Angebot erhalten wollen. Doch wir müssen von einigen Bürgern verlangen, dass sie zukünftig einen längeren Weg in Kauf nehmen, um dieses Angebot zu nutzen. Die Verkehrsanbindung von Lüttringhausen zur Stadtteilbibliothek Lennep ist gut, und viele Remscheider Stadtteile haben schon immer eine ähnliche oder noch längere Wegstrecke bis zur Stadtbibliothek bewältigen müssen. Wir glauben, dass wir auf diese Weise einen notwendigen Sparbeitrag leisten können, ohne auf die gesamte Einrichtung verzichten zu müssen.

An diesem Bespiel zeigt sich allerdings ebenso beispielhaft, dass die millionenschweren Zockereien des Kämmerers fatale Folgen für die notwendige Sparpolitik der Stadt haben werden. Es ist nicht einfach zu erklären, warum auf der einen Seite die Stadtteilbibliothek Lüttringhausen geschlossen wird, aber auf der anderen Seite eine Summe verloren geht, mit der die Einrichtung über 100 Jahre hätte betrieben werden können. Es ist schwer nachzuvollziehen, warum die Bezirksregierung der Stadt einen 6000-Euro-Zuschuss an den Schwimmsport untersagt, während dieser Zuschuss mit den verspekulierten Geldern über 2000 Jahre hätte gewährt werden können. Das alles ändert gleichwohl nichts daran, dass wir ein jährliches Defizit in Höhe von rund 40 Millionen Euro und Schulden von rund 450 Millionen Euro haben. Trotz oder gerade wegen des millionenschweren Rückschlages können wir es uns nicht leisten, vom Kurs der Haushaltskonsolidierung abzuweichen.

Die Fraktionen des „Zukunftspakts“ haben sich nicht nur auf eine Reihe von Vorschlägen auf Grundlage des Gutachtens geeinigt, sondern weitere organisationsbezogene Maßnahmen angestoßen: die Einrichtung eines gesamtstädtischen Controllings, die Zusammenlegung von Ämtern, die Ausgliederung von Aufgaben, Stellenabbau und weitere Umorganisationen, die wir als FDP-Fraktion bereits seit Jahren gefordert haben. Diese strukturellen Maßnahmen sind unbedingt notwendig, um das Haushaltsdefizit nachhaltig zu senken.

Anrede,

ich habe eben darauf hingewiesen, dass wir mit Augenmaß sparen wollen, um unsere Stadt attraktiv zu halten. Wir haben uns auf die Fahnen geschrieben, Remscheid zur kinder- und familienfreundlichen Stadt zu machen. In diesem Zusammenhang legen wir unsere Priorität auf die Bereiche Bildung und Jugend, und entsprechend haben wir beispielsweise gehandelt, als es um die Umsetzung der neuen Gesetzesgrundlage für die Kindertageseinrichtungen ging.

Mit dem Gesetz zur frühen Bildung und Förderung von Kindern, kurz KiBiz, hat die Landesregierung die Grundlage geschaffen, um veränderten Rahmenbedingungen zu begegnen: Der Bedarf an Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren ist gestiegen, der Sprachförderbedarf ist gestiegen und der demographische Wandel ist im vollen Gange.

KiBiz hebt die Sprachförderung nunmehr als Regelaufgabe hervor. Kindertageseinrichtungen werden vernetzt und zu Familienzentren weiterentwickelt. Die Betreuungsangebote für Kinder unter drei Jahren werden ausgebaut. Die Betreuungszeiten werden flexibilisiert. Das sind nur einige der Ziele, die mit der Gesetzesnovelle verbunden sind.

In Remscheid haben wir derzeit eine Versorgungsquote von knapp 10% bei der Betreuung von unter dreijährigen Kinder. In drei Jahren sollen es bereits über 20% sein. Bis 2011 werden 17 Kindertageseinrichtungen mit finanzieller Unterstützung des Landes zu Familienzentren weiterentwickelt werden. Die Kindertageseinrichtungen in Remscheid werden ab dem kommenden Jahr im Vergleich zum Ist-Zustand über fast zwei Millionen Euro mehr verfügen. Das ist eine Steigerung von rund 10%.

Ein Teil der zwei Millionen Euro, die zusätzlich in die Kindertageseinrichtungen fließen werden, werden wir aus dem städtischen Haushalt leisten müssen. Wer Bildung und Erziehung stärken möchte, der kommt nicht darum herum, Geld auszugeben. Gleichwohl haben wir uns gemeinsam mit den anderen Fraktionen dafür entschieden, die Eltern nicht zusätzlich zu belasten und das Gesamtbeitragsaufkommen nicht zu erhöhen. Die Landesregierung unterstützt uns dabei, indem die Kommunen, die wie Remscheid einen Nothaushalt haben, nicht mehr automatisch gezwungen werden, ihre Elternbeiträge zu erhöhen. Die Beiträge müssen sich in Zukunft zusätzlich an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern orientieren und sollen zudem vertretbar und geboten sein. Wir gehen davon aus, dass wir diese Kriterien in Remscheid mit unserer Beitragssatzung erfüllen, nachdem der Regierungspräsident noch im vergangenen Jahr eine Erhöhung der Elternbeiträge durchsetzte. Wir wollen nicht, dass Eltern ihre Kinder aus finanziellen Gründen aus dem Kindergarten abmelden und sie damit auf dieses immer wichtiger werdende Bildungsangebot verzichten. Wer berufstätig ist oder sein möchte, dem soll es möglich sein, seine Kinder eine Betreuungseinrichtung besuchen zu lassen.

Anrede,

der Rücktritt von Jürgen Müller als Stadtkämmerer ist nicht die einzige organisatorische Veränderung im Verwaltungsvorstand, denn im vergangenen Jahr hat die Stadt ihren Baudezernenten verloren. Es wiegt schwer, dass wir diese Stelle nicht neu besetzen können und dass auf diese Weise eine fachlich geeignete Person an der Spitze des Baubereiches fehlt. So war die Stadt zuletzt mit den Nachverhandlungen über das Projekt Hauptbahnhof anscheinend schlicht überfordert. Der Investor HBB kann sich über eine erhebliche Senkung der Baukosten freuen, etwa durch den Verzicht auf die ursprünglich vereinbarte Tiefgarage im Nordteil, was alleine 800.000 Euro Ersparnis für HBB bringt. Die Stadt hingegen kann lediglich die Teilüberdachung des Südsteges und einen Zuschuss für den Südstadtplatz vorzeigen. Unter dem Strich spart HBB rund 600.000 Euro durch dieses Verhandlungsergebnis und damit weitaus mehr als die Stadt. Dazu kommen offensichtliche Mängel. So soll die Überdachung des Südsteges in drei Meter Höhe verlaufen. Wer die bergische Witterung auch nur ansatzweise kennt, der weiß, dass ein solches Dach seinen Zweck verfehlt. Es wäre nicht überraschend, wenn es der Stadt auch bei anderen laufenden Großprojekten zum Nachteil gereicht, dass die Stadt in einzelnen Bereichen unprofessionell aufgestellt ist, weil ihr Fachkompetenzen in der Verwaltungsspitze fehlen.

Anrede,

im vergangenen Jahr haben wir uns mit sehr viel mehr Themen auseinandergesetzt, als ich es in den vergangenen Minuten skizziert habe. Ich hoffe, mir ist es gelungen, Ihnen einen Überblick zu einigen Schlaglichtern der vergangenen Monate zu vermitteln. Am Schluss meines Rechenschaftsberichtes möchte ich mich bei den Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion und in der Partei für ihren Einsatz danken. Ich tue dies in jedem Jahr, dennoch ist es keine gewohnheitsmäßige Pflicht. Wir haben nicht nur in der Sache gut zusammengearbeitet, sondern auch der zwischenmenschliche Umgang ist einwandfrei. Wer sich in anderen Gremien und Vereinigungen umschaut, der weiß, dass dies nicht selbstverständlich ist. Wir haben uns entschlossen, einen großen Teil unserer freien Zeit für die politische Gestaltung unserer Stadt einzusetzen und zuweilen dicke Bretter zu bohren. Das vergangene Jahr hat gezeigt, dass wir zu Erfolgen kommen können, aber ebenso deutlich ist geworden, dass wir als Liberale weiter mitmischen müssen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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